Wetterhorn
(Aufgezeichnet 1945 von einem Hamburger Mädchen - Name unbekannt - dessen Familie in Hamburg ausgebombt und nach Waldthurn übersiedelt worden war). Aufgezeichnet v. d. M. Gruppe 22, Bann 306 zum Leistungswettkampf 1944/45.
Am Fahrenberg, zu Oberbernrieth, erzählt man eine dunkle Mär, von einem Wetterhorn, das eine gar wunderbare Kraft habe. Vor vielen hundert Jahren kam einmal ein seltsamer Wanderer in das Dorf, fragte nach dem Dorfältesten, und als man ihm die Hofstadt gewiesen hatte, trat er ein. So gewaltig war die Gestalt des Fremden, dass er sich tief bücken musste, um nicht am Türgcbälk anzustoßen- Er trug einen mächtigen Hut, dessen breite Schlappe so weit in das Gesicht fiel, das man nur den eisgrauen Bart sah, der so lang war, dass ihn der Wind über die Schulter wehen konnte. Der Mann hatte einen weiten Mantel, der über und über mit Staub bedeckt war, man konnte daran ermessen, weichen weiten Weg der Wanderer hinter sich hatte. „Gib mir zu essen und ein Nachtlager!" sagte der Fremde.
Seine Stimme klang hart und rauh, und der Bauer erschrak. Als er dem Wanderer dann unter den Hut und dann den feurig glühenden Blick sehen konnte, erschauerte er vor dieser Erhabenheit. Er sagte aber: „Wir sind arme Leute und können einem Gast nicht viel bieten!" Da stellte die Frau ein Schüsselchen Milch auf den Tisch, brockte Brot hinein, und der Bauer warf in der Scheune ein Bund Stroh auf. Der Fremde nahm damit vorlieb, aß und legte sich rechtzeitig zur Ruhe.
Es wurde eine unruhige Nacht. Hinter den schweren Wolken erhob sich der Donner, Blitze zuckten daraus und bald dröhnte und leuchtete die ganze Gegend, als sollte die Erde bersten. Der Bauer sah bekümmert nach seinem Haus, ging durch Stube und Stall, und weil er auch Sorge um seinen Gast nahm, ging er in die Scheune. Er fand das Lager leer. Da riefen seine Nachbarn herüber, sie hätten den Weißbart gesehen, wie er gegen den Berg zu der Stelle, wo am Tage zuvor das Sonnwendfeuer gebrannt hatte, aufgestiegen wäre. Und als sich der Bauer gegen den Berg wandte, sah er den wunderlichen Fremden stehen, die Blitze fuhren um ihn herum, sein Mantel und Bart wehten im Sturm. Und man konnte auch erkennen, dass er etwas gegen den Mund hob. Da tönte ein Hornruf gegen das Tal und schmetterte so gewaltig, dass die Bauern schaudernd flohen. Aber im Augenblick brach die Gewalt des Unwetters, der Donner erstarb, die Blitze verlöschten, das Gewölk teilte sich, und es entstand eine helle ruhige Nacht.
Als der Dorfälteste am Morgen in seine Stube trat, fand er auf dem Tisch ein blühweißes Leintuch und darin das Wetterhorn, das wie eine Schnecke geformt war.
Von dieser Zeit an hatten die Bauern zu Oberbernrieth keine Wetternot mehr. Wenn die Wolken schwer und schwarz am Himmel standen, blies der Dorfalteste das wunderbare Hörn, und alsogleich teilte sich das Wetter.
Das blieb so, bis die Bauern der umliegenden Orte sich dagegen erhoben, und nicht mehr dulden wollten, dass die Leute von Oberbernrieth Donner und Hagel in die Nachbarfelder verjagten, wo das Unheil dann in schrecklicher Wucht niederbrach und Haus und Acker schlug.
Wohin das Wetterhorn aber gekommen ist, sagt niemand. Man erzählt, es liege noch immer in einem Hause in Oberbernrieth verborgen und seinen Platz hütet man wie ein heiliges Geheimnis.